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Buchtipp: Die Errettung des Schönen

Philosoph Byung-Chul Han entblättert in seinem Buch „Die Errettung des Schönen“ die Gesellschaft im digitalen Zeitalter und hält ihr schonungslos den Spiegel vor die kollektive Nase. Seine kritische Durchleuchtung aktueller systembedingter Gefühls- und Verhaltensweisen bringt spannende Erkenntnisse ans Licht, die eine Welt zeigen, die als Positivgesellschaft jahrzehntelang alles Negative verbannt hat – was nun allerdings gerade in Zeiten von Pandemien und Kriegen äußerst schwierig geworden ist.

Christoph Reicho

„Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander. Warum finden wir heute das Glatte schön? Über die ästhetische Wirkung hinaus spiegelt es einen allgemeinen gesellschaftlichen Imperativ wider. Es verkörpert nämlich die heutige Positivgesellschaft. Das Glatte verletzt nicht. Von ihm geht auch kein Widerstand aus. Es heischt Like. Der glatte Gegenstand tilgt sein Gegen. Jede Negativität wird beseitigt“, schreibt Byung-Chul Han in der Eröffnung seines wissenschaftlichen Buches „Die Errettung des Schönen“, das bereits 2015 im S. Fischer Verlag erschienen ist. Sieben Jahre sind seither vergangenen und Hans schonungslose Durchleuchtung des digitalen Zeitalters ist aktueller denn je. Wir befinden uns am Zenit der Positivgesellschaft, was gerade deshalb dazu führt, dass die Analysen des 1959 geborenen Philosophen so treffend erscheinen. Und darin bleibt nichts künstlich geschönt.

Risikoloses Lieben

In seinem Kapitel „Ästhetik der Verletzung“ geht Byung-Chul Han unter anderem auf den Einfluss des kapitalorientierten Systems bis in das Liebes- und Beziehungsleben der Gesellschaft ein. So finden sich Verhaltensmuster aus der Investitionswelt der Börse ebenso in einer Partnerwahl ohne Risikobereitschaft: „Die heutige Positivgesellschaft baut immer mehr die Negativität der Verletzung ab. Das gilt auch für die Liebe. Gemieden wird jeder hohe Einsatz, der zur Verletzung führen würde. Libidinöse Energien werden wie Kapitalanlagen über viele Objekte gestreut, um den Totalverlust zu umgehen. Auch die Wahrnehmung meidet immer mehr die Negativität. Like beherrscht sie.“

Der Körper als Konsummittel

Im Kapitel „Das Ideal des Schönen“ entblättert Han in seiner gesellschaftlichen Beobachtung den menschlichen Körper als Konsummittel und stellt fest, dass sich das Schöne mit all seinen charaktervollen Ecken und Kanten glätte und der Konsumation unterwerfe. „Die Sexualisierung des Körpers folgt nicht einseitig der Logik der Emanzipation, denn sie geht mit der Kommerzialisierung des Körpers einher. Die Schönheitsindustrie beutet den Körper aus, indem sie ihn sexualisiert und konsumierbar macht. Konsum und Sexyness bedingen einander. Das auf sexueller Begehrlichkeit beruhende Selbst ist ein Produkt des Konsumkapitalismus. Die Konsumkultur unterwirft die Schönheit immer mehr dem Reiz- und Erregungsschema. Das Ideal des Schönen entzieht sich dem Konsum. So wird jeder Mehrwert des Schönen abgebaut. Das Schöne wird glatt und unterwirft sich der Konsumation.“

Noch brutaler hält der Philosoph dann der „charakterlosen“ Menschheit in folgender Schlussfolgerung den Spiegel vor: „Festigkeit und Beständigkeit sind dem Konsum nicht zuträglich. Konsum und Dauer schließen einander aus. Es sind Unbeständigkeit und Flüchtigkeit der Mode, die ihn beschleunigen. So baut die Konsumkultur die Dauer ab. Charakter und Konsum sind Gegensätze. Der ideale Konsument ist ein Mensch ohne Charakter. Diese Charakterlosigkeit macht einen wahllosen Konsum möglich.“

Die Verdrängung des Todes

Bemerkenswert ist das Kapitel „Ästhetik des Desasters“, worin Byung-Chul Han der Rollenverteilung von Leben und Tod innerhalb der heutigen Welt auf den Grund geht. Die Verdrängung des Todes aus der Mitte der Gesellschaft, die künstliche Verlängerung des Lebens, die Verjüngungskuren der älteren Generationen sowie – nun brandaktuell – die zweijährige Pandemie und der Umgang mit den Corona-Todesfällen können hier als Beispiele genannt werden. Gerade die völlige Überforderung der Welt durch eine plötzliche, weltweite Krankheit, die auch zu vielen Todesfällen führt, ist ein Spiegelbild der Positivgesellschaft, die von der plötzlichen Präsenz des Todes und der eigenen Verletzlichkeit völlig überrollt wurde. Noch dazu sind die Geschehnisse an einen teilweise Stillstand der Konsumation in der Außenwelt gekoppelt, der die mentale Lage der Konsum-Menschen noch einmal verschärft hat. Man könnte in Byung-Chul Hans wissenschaftlicher Analyse in Summe auch eine teils panische Gesundheits-Sucht der Gesellschaft interpretieren: „Das Gesunde ist eine Ausdrucksform des Glatten. Es strahlt paradoxerweise etwas Morbides, etwas Lebloses aus. Ohne die Negativität des Todes erstarrt das Leben zum Toten. Es wird zum Untoten geglättet. Die Negativität ist die belebende Kraft des Lebens. Sie bildet auch die Essenz des Schönen.“  So hat die Corona-Pandemie indirekt dazu beigetragen das natürliche Gleichgewicht von Leben und Tod wiederherzustellen sowie die jahrzehntelang verdrängte Präsenz des Todes zu neuem Leben erweckt und in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Mit all seiner Tragik und Sinnlosigkeit pusht diesen Vorgang der Ukraine-Krieg nun zusätzlich. Vielleicht haben wir dadurch zumindest die Chance uns von einer „Gesellschaft der Untoten“ wieder zu einer lebendigen Gemeinschaft zu entwickeln, die weder den Krieg noch eine Pandemie benötigt, um im Einklang mit dem natürlichen irdischen Zyklus von Geburt, Leben und Tod zu sein. Das wäre hingegen tatsächlich „schön“, denn Hans Bild der Gesellschaft ist äußerst düster – so treffend sie auch sein mag: „Die heutige Kalokratie, die das Gesunde, das Glatte verabsolutiert, schafft gerade das Schöne ab. Und das bloße, gesunde Leben, das heute die Form eines hysterischen Überlebens annimmt, schlägt ins Tote, ins Untote um. So sind wir heute zu tot, um zu leben, und zu lebendig, um zu sterben.

Über den Autor

Der 1959 geborene Byung-Chul Han studierte anfangs Metallurgie in Korea und wechselte anschließend zum Philosophie-, Germanistik- und Theologie-Studium nach Freiburg und München. Nach seiner Habilitation war er als Philosophie-Lehrender an der Universität Basel tätig. Ab 2010 unterrichtete er Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Seit 2012 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Details zum Buch

  • Titel: “Die Errettung des Schönen”
  • Erstveröffentlichung: 23.07.2015
  • Verlag: S. Fischer Wissenschaft
  • Seitenzahl: 112 (Printausgabe)
  • Sprache: Deutsch
  • EAN: 9783100024312
S. Fischer Wissenschaft

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Fotocredit: S. Fischer Wissenschaft

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